Erst mit 18 entdeckte sie das Snowboarden für sich, elf Jahre später hat Anna Gasser bei den Olympischen Spielen und den Weltmeisterschaften abgeräumt, ist in ihrer Heimat Österreich zweimalige Sportlerin des Jahres und hat einige unfassbare Sprünge als erste Frau überhaupt geschafft. Ein Gespräch über Mut, mentale Stärke und den Drang, sich immer weiterzuentwickeln.
Anna, du bist für deine waghalsigen Sprünge bekannt – man möchte fast „Stunts“ sagen. Wie entwickelst du neue Tricks?
Beim Snowboarden spielt sich verdammt viel im Kopf ab: Jeden Trick, den ich bisher gemacht habe, habe ich davor hundertmal im Kopf geübt. Es gibt Tricks, über die ich schon seit vier Jahren nachdenke und sie trotzdem noch nie im Schnee durchgezogen habe.
Du siehst das Szenario also vor deinem inneren Auge?
Ja! Oder besser: Ich fühle es. Bevor ich zum Beispiel meinen ersten Double Cork gesprungen bin, hatte ich den Anfang des Tricks schon mehrmals live absolviert und kannte das Grundgefühl. Dann habe ich es visualisiert und zu spüren versucht, wie es sich anfühlen wird, noch ein zweites Mal kopfüber zu gehen. Ich hatte den Trick so oft gesehen, ich hatte ihn in allen Perspektiven durchgespielt... Als ich ihn dann tatsächlich schaffte, fühlte es sich so an, als sei es gar nicht das erste Mal, sondern etwas ganz Natürliches.
Aber woher nimmst du so selbstverständlich den Mut zu mehrfachem Kopfüber 20 Meter über dem Boden?
Ich war schon als Kind ziemlich wild. Ich habe mich in der Luft sehr wohl gefühlt, bin zum Beispiel mit zehn Jahren vom Zehner gesprungen. Beim Snowboarden war es das Gleiche. Mir ist es bald fad geworden auf den kleinen Kickern. Ich wollte mehr! Ich wollte mich weiterentwickeln, auch die größeren Sachen springen. Es ist ein großartiges Gefühl, wenn man sich überwindet. Etwas Neues macht, etwas Größeres macht. Und dann diese zwei oder drei Sekunden, die man bei einem großen Kicker in der Luft ist – davon kann ich nicht genug kriegen.
Anna Gasser
Ohne Angst und ohne Limits
08.04.2021
Was genau fühlst du, während du springst?
Es ist, als würde die Welt für eine Sekunde stehen bleiben. Sobald es losgeht, höre und sehe ich eigentlich nichts mehr. Ich bin wirklich im Moment. Ein fast unbeschreibliches Gefühl – wie eine Art Tunnel, aus dem ich erst wieder auftauche, wenn ich lande. Das ist etwas ganz Besonderes. Und es macht auch ein bisschen süchtig.
Wie wichtig ist Intuition für dich?
Ich höre sehr auf mein Bauchgefühl. Bei jedem Sprung, bei den meisten Wettkämpfen. Sogar bei Olympia, und zwar beim letzten Sprung, entschied ich eine Sekunde vorher intuitiv, dass ich etwas anderes zeigen will als geplant. Ich behalte meistens recht, sobald ich mich auf meine Intuition verlasse. Und Verletzungen sind immer dann passiert, wenn ich dagegen angekämpft habe.
Eine Turnierkommentatorin sagte einmal über dich: „Sie sieht nicht, was ist, sondern was sein kann.“ Kannst du damit etwas anfangen?
Das war aber nett von ihr! Dabei bin ich eigentlich keine explizit gute Wettkampffahrerin – weil ich immer mein Bestes zeigen will, was taktisch eigentlich gar nicht so gescheit ist. Aber ich bin eben nur dann zufrieden. Das macht mich im Wettkampf zu einer risikoreicheren Fahrerin: Oft lande ich entweder in den Top drei oder im hinteren Feld, weil ich mal wieder etwas Besonderes schaffen wollte.
Es ist, als würde die Welt für eine Sekunde stehen bleiben. Sobald es losgeht, höre und sehe ich eigentlich nichts mehr. Ich bin wirklich im Moment. Ein fast unbeschreibliches Gefühl – wie eine Art Tunnel, aus dem ich erst wieder auftauche, wenn ich lande. Das ist etwas ganz Besonderes. Und es macht auch ein bisschen süchtig.
Wie wichtig ist Intuition für dich?
Ich höre sehr auf mein Bauchgefühl. Bei jedem Sprung, bei den meisten Wettkämpfen. Sogar bei Olympia, und zwar beim letzten Sprung, entschied ich eine Sekunde vorher intuitiv, dass ich etwas anderes zeigen will als geplant. Ich behalte meistens recht, sobald ich mich auf meine Intuition verlasse. Und Verletzungen sind immer dann passiert, wenn ich dagegen angekämpft habe.
Eine Turnierkommentatorin sagte einmal über dich: „Sie sieht nicht, was ist, sondern was sein kann.“ Kannst du damit etwas anfangen?
Das war aber nett von ihr! Dabei bin ich eigentlich keine explizit gute Wettkampffahrerin – weil ich immer mein Bestes zeigen will, was taktisch eigentlich gar nicht so gescheit ist. Aber ich bin eben nur dann zufrieden. Das macht mich im Wettkampf zu einer risikoreicheren Fahrerin: Oft lande ich entweder in den Top drei oder im hinteren Feld, weil ich mal wieder etwas Besonderes schaffen wollte.
Mit ihren 29 Jahren hat Anna Gasser in der Snowboard-Szene so gut wie alles erreicht, was man erreichen kann. Die Sportlerin kann nicht nur auf olympische Medaillen und Weltmeistertitel zurückblicken, sondern schaffte mit ihren Tricks auch mehrere „World’s Firsts“.
Welcher deiner Siege war dir am wichtigsten?
Das war ein Wettbewerb ganz zu Anfang meiner Karriere, in dem ich mein erstes Preisgeld gewann. Man muss sich vorstellen, dass ich damals ohne Trainer und ohne Verband oder Föderation in den Sport eingestiegen bin und selbstständig an Wettkämpfen teilgenommen habe – ein extremer finanzieller Druck. Von allen Seiten hörte ich: Wieso gehst du nicht studieren, lass das doch, du bist viel zu alt. Aber als ich diesen Wettbewerb samt Preisgeld gewonnen habe, kam das zum perfekten Zeitpunkt. Es hat mir noch mal ganz klar bestätigt: Ich kann das, ich mache weiter. Wenn ich recht überlege, war es eigentlich gar kein Sieg, sondern ein dritter Platz. Aber es war ein Podiumsrang in einem Wettkampf mit den Besten der Welt.
Du trittst im Slopestyle an, einer Art Hindernis-Parcours, und im Big Air, also quasi im Schanzenkunstspringen. Was bringt dir mehr Adrenalin – und magst du eins von beiden lieber?
Es kommt darauf an. Beim Slopestyle bin ich nervöser, denn da musst du einen langen, komplizierten Lauf fehlerlos „runterbringen“. Beim Big Air wiederum probiert man häufiger die schweren Tricks, deshalb bin ich auch dabei oft aufgeregt – nicht weil es ein Wettkampf ist, sondern weil ich etwas zeigen will, das ich vielleicht vorher noch nie gemacht habe. An sich mag ich Big Air lieber, weil ich mich gern auf eine Sache fokussiere. Aber ein Sieg im Slopestyle freut mich besonders, weil ich da noch nicht so viele Erfolge hatte wie im Big Air.
Du hast schon so viel erreicht. Wie motivierst du dich jeden Tag aufs Neue?
Mir ist ständiger Fortschritt das Wichtigste – ich will nicht stehen bleiben, ich will mich weiterentwickeln! Ein guter Tag ist für mich, wenn ich etwas Neues geschafft habe.
Du hast deinen Zenit als Athletin also noch nicht erreicht?
Nein, und ich glaube, so darf man gar nicht denken. Wenn ich das Gefühl hätte, mein Limit erreicht zu haben, würde ich wohl aufhören, zumindest mit dem Profisport. Ich denke aber nicht viel darüber nach, wann das sein wird. Das würde mich nur einschränken.
Hast du trotzdem schon eine Idee, was du gern machen würdest, wenn Snowboarden irgendwann nicht mehr dein Hauptberuf ist?
Ich hoffe einfach, dass ich danach etwas finde, für das ich die gleiche Leidenschaft aufbringen kann. Ich will irgendwann sicher Mama werden – so der grobe Plan. Und beruflich sehe ich mich in einem kreativen Umfeld: Filme, Fotografie, etwas in der Richtung. Aber eher hinter als vor der Kamera.
Welcher deiner Siege war dir am wichtigsten?
Das war ein Wettbewerb ganz zu Anfang meiner Karriere, in dem ich mein erstes Preisgeld gewann. Man muss sich vorstellen, dass ich damals ohne Trainer und ohne Verband oder Föderation in den Sport eingestiegen bin und selbstständig an Wettkämpfen teilgenommen habe – ein extremer finanzieller Druck. Von allen Seiten hörte ich: Wieso gehst du nicht studieren, lass das doch, du bist viel zu alt. Aber als ich diesen Wettbewerb samt Preisgeld gewonnen habe, kam das zum perfekten Zeitpunkt. Es hat mir noch mal ganz klar bestätigt: Ich kann das, ich mache weiter. Wenn ich recht überlege, war es eigentlich gar kein Sieg, sondern ein dritter Platz. Aber es war ein Podiumsrang in einem Wettkampf mit den Besten der Welt.
Du trittst im Slopestyle an, einer Art Hindernis-Parcours, und im Big Air, also quasi im Schanzenkunstspringen. Was bringt dir mehr Adrenalin – und magst du eins von beiden lieber?
Es kommt darauf an. Beim Slopestyle bin ich nervöser, denn da musst du einen langen, komplizierten Lauf fehlerlos „runterbringen“. Beim Big Air wiederum probiert man häufiger die schweren Tricks, deshalb bin ich auch dabei oft aufgeregt – nicht weil es ein Wettkampf ist, sondern weil ich etwas zeigen will, das ich vielleicht vorher noch nie gemacht habe. An sich mag ich Big Air lieber, weil ich mich gern auf eine Sache fokussiere. Aber ein Sieg im Slopestyle freut mich besonders, weil ich da noch nicht so viele Erfolge hatte wie im Big Air.
Du hast schon so viel erreicht. Wie motivierst du dich jeden Tag aufs Neue?
Mir ist ständiger Fortschritt das Wichtigste – ich will nicht stehen bleiben, ich will mich weiterentwickeln! Ein guter Tag ist für mich, wenn ich etwas Neues geschafft habe.
Du hast deinen Zenit als Athletin also noch nicht erreicht?
Nein, und ich glaube, so darf man gar nicht denken. Wenn ich das Gefühl hätte, mein Limit erreicht zu haben, würde ich wohl aufhören, zumindest mit dem Profisport. Ich denke aber nicht viel darüber nach, wann das sein wird. Das würde mich nur einschränken.
Hast du trotzdem schon eine Idee, was du gern machen würdest, wenn Snowboarden irgendwann nicht mehr dein Hauptberuf ist?
Ich hoffe einfach, dass ich danach etwas finde, für das ich die gleiche Leidenschaft aufbringen kann. Ich will irgendwann sicher Mama werden – so der grobe Plan. Und beruflich sehe ich mich in einem kreativen Umfeld: Filme, Fotografie, etwas in der Richtung. Aber eher hinter als vor der Kamera.
Ein Bündel positiver Energie: Wir trafen Anna Gasser am Set der Audi Filmreihe „A Story of Progress“. Den Filmbeitrag finden Sie auf allen Audi Social-Media-Kanälen – und am Ende dieses Artikels.
Du hast inzwischen mehrere Wahnsinnssprünge als erste Frau überhaupt geschafft – fühlen sich diese „World’s Firsts“ noch mal auf ganz andere Art gut an als die Wettkampfsiege?
Ich muss tatsächlich sagen, dass der größte Moment meiner bisherigen Karriere der Triple Cork war, nicht etwa die Olympia-Medaille. Einfach weil es das vorher noch nie gegeben hatte. In den USA haben mich die Leute danach angesprochen mit den Worten: „Du bist doch das Mädel, das als Erste den Triple geschafft hat!“ – obwohl mein Olympia-Gold ähnlich aktuell war. Dass ich so einen Grundstein legen, so einen Impuls setzen konnte, ist mir wichtiger als jeder Sieg.
Wann kommst du an deine Grenzen?
Buchstäblich dann, wenn ich von etwas gebremst werde, über das ich keine Kontrolle habe – zum Beispiel eine Verletzung. Das ist für mich persönlich das wahrscheinlich Schwerste in diesem Beruf. Dass du dann einfach abwarten musst, zuschauen musst, wie andere das machen, das du liebst. Darin bin ich nicht sehr gut, da muss ich noch viel dazulernen.
Ich war schon immer ein Mensch, der gern Grenzen ausgetestet hat. Das zieht sich durch mein Leben, seit ich als Kind auf die höchsten Bäume klettern wollte. Auch beim Snowboarden habe ich schnell meine eigenen Grenzen überschritten, manchmal zu schnell. Und dann passiert eben auch mal was, und man wird gezwungen stillzustehen. Grenzen sind aber oft einfach eine Kopfsache. Und sie sind im Weg, wenn man etwas erreichen will. Man sollte ihnen also nicht zu viel Raum geben.
Erwartest du mehr von dir als andere von sich?
Ich glaube, dass alle Sportlerinnen und Sportler auf Olympia-Niveau immens hohe Ansprüche an sich haben. Sonst wären sie nicht so weit gekommen. Aber wahrscheinlich haben nicht alle die gleiche Motivation. Mir zum Beispiel sind erste Plätze gar nicht so extrem wichtig. Mir ist es wichtiger, mich immer wieder selbst zu überflügeln.
Du hast inzwischen mehrere Wahnsinnssprünge als erste Frau überhaupt geschafft – fühlen sich diese „World’s Firsts“ noch mal auf ganz andere Art gut an als die Wettkampfsiege?
Ich muss tatsächlich sagen, dass der größte Moment meiner bisherigen Karriere der Triple Cork war, nicht etwa die Olympia-Medaille. Einfach weil es das vorher noch nie gegeben hatte. In den USA haben mich die Leute danach angesprochen mit den Worten: „Du bist doch das Mädel, das als Erste den Triple geschafft hat!“ – obwohl mein Olympia-Gold ähnlich aktuell war. Dass ich so einen Grundstein legen, so einen Impuls setzen konnte, ist mir wichtiger als jeder Sieg.
Wann kommst du an deine Grenzen?
Buchstäblich dann, wenn ich von etwas gebremst werde, über das ich keine Kontrolle habe – zum Beispiel eine Verletzung. Das ist für mich persönlich das wahrscheinlich Schwerste in diesem Beruf. Dass du dann einfach abwarten musst, zuschauen musst, wie andere das machen, das du liebst. Darin bin ich nicht sehr gut, da muss ich noch viel dazulernen.
Ich war schon immer ein Mensch, der gern Grenzen ausgetestet hat. Das zieht sich durch mein Leben, seit ich als Kind auf die höchsten Bäume klettern wollte. Auch beim Snowboarden habe ich schnell meine eigenen Grenzen überschritten, manchmal zu schnell. Und dann passiert eben auch mal was, und man wird gezwungen stillzustehen. Grenzen sind aber oft einfach eine Kopfsache. Und sie sind im Weg, wenn man etwas erreichen will. Man sollte ihnen also nicht zu viel Raum geben.
Erwartest du mehr von dir als andere von sich?
Ich glaube, dass alle Sportlerinnen und Sportler auf Olympia-Niveau immens hohe Ansprüche an sich haben. Sonst wären sie nicht so weit gekommen. Aber wahrscheinlich haben nicht alle die gleiche Motivation. Mir zum Beispiel sind erste Plätze gar nicht so extrem wichtig. Mir ist es wichtiger, mich immer wieder selbst zu überflügeln.